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Sidra (rechts) und ihre Schwestern. Die Mädchen verstehen nicht, warum die Erwachsenen sich lieber gegenseitig töten als miteinander zu reden.
Wann immer sich mir die Gelegenheit bietet, suche ich das Gespräch mit den Kindern. Ich möchte wissen, wie es ihnen geht, was sie denken, möchte ihre Stimme hören. So auch an diesem Tag in Dscharamana, einem Vorort von Damaskus, wo ich auf die 13-jährige Sidra treffe. Zuvor hatte ich mich bereits mit anderen Kindern unterhalten und als Sidra uns sah, blieb sie stehen, hörte eine Weile zu und ergriff dann selbst das Wort: „Ich würde Dir auch gerne sagen, was ich über den Krieg denke!“
Aus ihrem Akzent schloss ich, dass sie nicht aus Damaskus, vermutlich auch nicht aus Syrien stammte. Sidra begann zu erzählen: Als Palästinenserin war sie in Syrien geboren worden, aber nach kurzer Zeit mit ihrer Familie zu den von Israel besetzten Schebaa-Farmen ausgewandert. Ihr Vater begann dort ein Haus zu bauen und träumte von der Vorstellung, dort bleiben und seine drei Töchter großziehen zu können. Sidra erinnert sich: „Es war so schön dort. Alles war grün und blühte. Um unser Haus herum standen Aprikosen- und Olivenbäume, zwischen denen wir Kinder Verstecken spielten.“
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Auch diese Familie wurde aus ihre Zuhause vertrieben und hat in Jaramana Zuflucht gesucht.
Gleichwohl war der Frieden fragil und in unmittelbarer Nähe fanden Gefechte zwischen Israelis und Palästinensern statt. Bei einem dieser Gefechte musste Sidra miterleben, wie eine Katze verletzt wurde und liegen blieb. Das Mädchen versteckte sich hinter einem Baum, bis die Kämpfe abgeklungen waren. „Dann lief ich zu der Katze und nahm sie auf meinen Schoß. Sie bewegte sich kaum noch und ich konnte nur noch zusehen, wie sie starb. Ich konnte sie nicht retten! Ich stellte mir vor, was wohl passiert wäre, wenn nicht die Katze, sondern vielleicht eine meiner Schwestern oder ich selbst hier auf der Straße gestorben wären. Hätten die Kämpfer dann auch einfach weitergemacht?“
Nachdem die Lage auf den Schebaa-Farmen immer bedrohlicher wurde, zog Sidras Familie zurück nach Syrien. Die Eltern wollten, dass ihre Kinder im Frieden aufwachsen, aber es dauerte gerade ein Jahr, bis schließlich in Syrien der Krieg ausbrach. Die Familie erlebte Nächte ohne Strom, Winter ohne warme Kleidung und unzählige Momente der Angst.
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Wenn Kinder im Krieg aufwachsen, sind solche Momente, in denen sie unbeschwert lachen können, rar.
Sidra erzählt: „Erst vor wenigen Tagen war ich bei meiner Großmutter, als neben ihrem Haus eine Bombe hochging. Ich rannte in die Küche, versteckte mich und schrie: ‘Stop, Stop, Stop!’“
Ein Großteil der Gebäude in Dscharamana befindet sich im Rohbau, aber überall sieht man Menschen, die dort einziehen und die Löcher im Bau notdürftig mit Plastikplanen abdecken. Sie kommen aus Aleppo, Idleb, Raqqa, Daraa und Homs, sie sind aus ihrem Zuhause vertrieben wollen und alle haben sie furchtbare Geschichten erlebt.
Sidra fragt: „Warum sprechen die Menschen nicht miteinander, anstatt sich zu bekämpfen? Alle, die jetzt aufeinander losgehen, hatten einmal eine Kindheit. Sehen sie denn nicht, was ihr Krieg mit uns syrischen, israelischen und palästinensischen Kindern macht? Was ist mit unserer Kindheit? Und wer soll denn später, wenn sie ihren Krieg irgendwann zu Ende gekämpft haben, das Land wieder aufbauen? Ich nehme an, das sollen dann auch wir tun – falls sie überhaupt einmal zum Ende kommen!”